An den Problemen vorbei reglementiert?
Viele Straßenmusiker profitieren von den oft in München achtlos vorbeieilenden Passanten und dem Publikum dahingehend, dass ein Repertoire vielfach nicht über einige wenige Stücke hinausgehen muss. So ist nachzuvollziehen, dass sich Anwohner und beispielsweise Beschäftigte am Blumen- oder Obststand oder auch Inhaber wie Mitarbeiter von Geschäften im Innenstadtbereich nach der fünften Wiederholung von Mozarts Kleiner Nachtmusik, dem Türkischem Marsch oder dem Torrero-Marsch aus Carmen innerhalb einer sehr überschaubaren Zeitspanne auch in der Tat belästigt fühlen dürfen. Auch gibt es das immer wieder kehrende Szenario, dass Mitbewerber in der Branche in häufigen Konzertpausen häufig mit Bierflaschen herumstehend nicht unbedingt eine optische Aufwertung einer Straße oder eines Platzes im Innenstadtbereich mit malerischer Kulisse für Anwohner, Angestellte, Besucher oder Touristen egal welcher Stadt darstellen.
In der bayerischen Landeshauptstadt hat man versucht, diesen Erscheinungen wirkungsvoll zu begegnen. So hat man die Straßenmusik im Innenstadtbereich mitteleuropäisch reglementiert. Die maximal zweimal wöchentlich für jeweils Vor- oder Nachmittag erhältlichen Genehmigungen sind mit zahlreichen Auflagen für die Musiker verbunden. Diese jedoch gestalten sich aber zur Behebung auftretender Probleme im Bereich der Straßenmusik mit Verlaub als absolut unzweckmäßig und an den wirklichen möglichen Schwierigkeiten vorbeigeregelt. Vielmehr regeln sie vorbeugend sehr detailliert die Ausübung, aber in absolut nicht hinreichender Art die eher hierzu elementar notwendigen Zulassungsvoraussetzungen.
Somit liegt die Verantwortlichkeit für jegliches Konfliktpotential ausschließlich bei den Musikern. Die Verantwortlichkeit der Stadt ist mit der Beurteilung von ganzen drei Stücken, der anschließenden Aufnahme in die Straßenmusikerkartei und der Erteilung der Sondernutzungserlaubnis mit Stempel und Unterschrift sowie der Erhebung von einer Bearbeitungsgebühr in Höhe von 10 Euro vom Tisch. Ich möchte unterstreichen, dass in meiner Kritik nur das beschriebene Vorgehen steht und ausdrücklich nicht die Mitarbeiter der Stadtinformation, die lediglich ihren Anweisungen Folge leisten. Ist ein Musiker in der Lage, eine anständige Vorstellung darbieten zu können, bereit ist, sich ordnungsgemäß in einer Stadt mit wie bei Beispiel München mit einer notwendigen finanziellen Vorleistung um eine Legitimation zur Ausübung zu bemühen, dann wird dieser zunächst mit zwei DinA4-Seiten Auflagen konfrontiert. Alles der gebotenen Rücksichtnahme geschuldet. Neben den Auflagen selbstverständlich ist die Rücksichtnahme gegenüber Baustellen, Presslufthammer, wechselnden Kundgebungen und gegenüber der insgesamt akustisch gesehen nie geräuscharmen sich immer aufs Neue wandelnden Innenstadtkulisse. Ein Obst- oder Blumenstand beispielsweise hat sich noch nie nach einer Stunde einen neuen Standplatz gesucht, damit er überhaupt sein Gewerbe ausführen darf. Er steht da, wo es für ihn auch zweckmäßig und wirtschaftlich sinnvoll erscheint.
Achillessehne „Spielplantiefe“ als Beurteilungskriterium
Regeln sind richtig und wichtig. Gleichwohl sollte vorrangig fundiert die Leistungsfähigkeit geprüft sein, bevor eine Sondernutzungserlaubnis für den öffentlichen Straßenraum überhaupt erteilt werden kann. Nur wie ist das abzubilden, wenn die Mitarbeiter der Stadtinformation mittels drei vorgespielten Stücken die Eignung festzustellen gezwungen sind, weil diese selbstverständlich auch andere Aufgaben wahrnehmen als das Abhören des Vorspielens für Straßenmusikanten? Im Anschluss sind es bedauerlicherweise nicht selten genau die oben beschriebenen Erscheinungen von Straßenmusik, die ihr gleichzeitig einen schlechten Ruf bescheren. Die weitere Folge sind Klagen, Diskussionen und letztlich Entscheidungen der Stadt, die am eigentlichen Problem vorbei beratschlagen und schließlich vorbei entscheiden.
Eine Lösungsmöglichkeit wäre eine klare Definition von Zulassungsvoraussetzungen durch die Stadtverwaltung für die Straßenmusik mit denkbaren Merkmalsausprägungen wie nachvollziehbarer Repertoiretiefe, -qualität und Darbietungsausgestaltung. Deren Vorliegen müsste im öffentlichen als auch im Interesse der in der Stadt ansässigen Anwohner und Geschäftsleute selbstverständlich auch eingehend (und damit mehr, als das es zum derzeitigen Zeitpunkt der Fall ist) geprüft werden, bevor es zur Erteilung einer Sondernutzungsgenehmigung kommen darf.
Vollständige Berichterstattung überhaupt möglich?
In der regionalen Berichterstattung wird in der Stadt München über eine Richtlinienreform nachgedacht, im Rahmen derer das „bürokratische Korsett“ (Süddeutsche Zeitung Nr. 86 vom 12.04.2014 S. 41) etwas gelockert werden hätte können. Sofort reagieren „Anwohner und Geschäftsleute“ empört. Es bleibt alles beim Alten. Die Süddeutsche Zeitung besucht die Musiker und befragt unfreiwillige Zuhörer. Bedauerlicherweise befragt man ausschließlich nicht in München ansässige Musiker aus der Ukraine, aus Rumänien, Russland und Ungarn zu den Geschehnissen und ihren Erfahrungen. Ohne auch nur einen einzigen einheimischen Künstler oder Musiker kratzt die Berichterstattung damit unvollständig an der krustigen Oberfläche zum Thema und stellt darüber hinaus mit der Auswahl der Befragten als Foto über dem Bericht ein nur unzureichend objektives Bild für die öffentliche Meinungsbildung.
Immer ist vom Schutz der Anwohner die Rede. Die Straßenmusiker sind indes mit einer Vielzahl von Auflagen konfrontiert, obwohl sie es sind, die ein Stadtbild kulturell unverwechselbar, lebendig, charmant aufwerten und damit lebenswert machen. Die Frage sollte eher heißen, wie schützt man ordentlich qualifizierte Straßenmusiker mit mehr als nur ein paar Stücken im Repertoire? Solange diese Frage nicht vollumfassend geklärt ist, sollte man von unzureichendem Umgang mit dem Thema Abstand halten und sich um sachdienliche Lösungen bemühen. Besonders wenn stets nur die „eine Seite“ und der Standpunkt der sog. genervten Anwohner und Geschäftsleute in die Entscheidungen mündet. Auch wenn es möglicherweise nicht einfach ist, dass sich aufgrund evtl. bestehender Sprachbarrieren auch einmal die Seite der Straßenmusiker lösungsorientiert zu Wort meldet. Weiterhin wird überwiegend nur ein kleiner aber nicht unbedingt repräsentativer Anteil dieser Zunft ohne Anspruch auf gleiche Augenhöhe aller Gesprächspartner zum Geschehen scheinbar „angehört“.
Teufelskreis und Wettbewerb mit scharfem Wind
Der Wettbewerb unter den Straßenmusikern wächst unaufhörlich, weil zu viele Gelegenheitsmusiker autorisiert überhaupt auf die Münchner Straßen gelassen werden, ohne über eine entsprechende musikalische Qualifikation dafür zu verfügen. Berücksichtigt man hierbei den sozialen Aspekt, mag das einerseits fürsorglich erscheinen, gleichzeitig geschieht jedoch damit gegenüber den ordentlichen Musikern eine ungerechtfertigte Wettbewerbsverzerrung durch öffentliche Hand, die unqualifizierte „Kollegen“ legitimieren, den Marktanteil für ordentlich ausgebildete und oder positiv darbietende Künstler schmälern. Dies gestaltet sich, indem dadurch einerseits begrenzte Platzkapazitäten für die Darbietung, andererseits letztlich auch verfügbare Budgetkapazitäten für Anerkennung der Musikliebhaber mit dem Vehikel „Straßenmusik“ für einfaches Betteln beansprucht werden. Damit wird die Arbeit mit behördlicher Unterstützung für Straßenkünstler mit Substanz deutlich unattraktiver – ein Teufelskreis!
Zielvorstellung zur Vermeidung einer Zuspitzung für Straßenmusik in München
Solange der Umgang mit dem Thema weiterhin wie bisher einseitig geführt wird, kann sich auch keine Besserung einstellen, sondern wird es eher zu einer Eskalation in der Szene führen. Wäre es vielmehr nicht wünschenswert, alle Gesprächspartner an einem Tisch zum Thema die besten Lösungen finden zu lassen, mit denen möglichst allen Anspruchsgruppen geholfen werden kann? Das sind wir vom genervten Zuhörer (Musik polarisiert immer), über den Obst- und Gemüsestandhändler, über die empörten Anwohner und Geschäftsleute, Journalisten, wie auch über die Straßenmusiker selbst bis hin zum Oberbürgermeister sowohl dem lebenswerten, gemütlichem und authentischen Charakter Münchens aber auch den unzählig anderen schönen Städten in unserer Heimat mehr als schuldig.